„Fast immer befetzen sich Politiker mit schweren, oft grundsätzlichen und beleidigenden Vorwürfen, solange die Kameras auf sie gerichtet sind. Wird durch diese "Auseinandersetzungen" nicht sinnfällig demonstriert, dass meine Ausführungen fälschlicherweise nur die negativen Seiten unseres Demokratiebetriebes beschreiben? Die Demokratie lebt doch, wenn jeder Redner seinem Vorgänger attestiert, ein Versager und Nichtskönner zu sein, der mit seiner Politik das Land in den Ruin steuern wird!
Ist es nicht eine Form engagierter Suche nach der besten Problemlösung, wenn sich die Politiker in den Talkshows lautstark unterbrechen, kaum dass ihr Gegner einen halben Satz gesprochen hat? Prallen hier nicht unterschiedliche Analysen, Bewertungen und Politikentwürfe aufeinander, die dem Wähler die nächste Wahl erleichtern werden? Vermitteln diese Veranstaltungen nicht auch einen Eindruck von dem schweren und mit Herzblut geführten Ringen, welchem sich die Politiker jeden Tag aussetzen, wenn sie versuchen, die Gefahren abzuwenden, die dem Gemeinwesen drohen?
Angesichts der oben diskutierten Tatsachen muss man leider feststellen, dass es sich um Schaukämpfe handelt. Wer nicht wirklich etwas zu entscheiden hat, muss wenigstens den Anschein von Engagement und Mut erwecken. Dabei wird selbstverständlich erwartet, dass die Redner aus den Lagern der Regierung und der Opposition kein gutes Haar an den Vorhaben und den Methoden der anderen Seite lassen. Allerdings sind die Vorwürfe und Behauptungen meist so platt, ist die Aufregung so krampfhaft gespielt, dass auch den Zuschauern mit geringem politischem Interesse die Scheinheiligkeit dieser Kämpfe nicht entgehen dürfte.
Im Gegensatz zum US-amerikanischen System gibt es in Deutschland bei den meisten Abstimmungen den Fraktionszwang - einer Art Gewohnheitsrecht, welches eigentlich verfassungswidrig ist. So kann man meistens davon ausgehen, dass eine Regierung mit stabiler Parlamentsmehrheit alles durchsetzen kann. Die Opposition bekommt deshalb so gut wie nie die Gelegenheit, die von ihr vehement vorgetragenen Gegenvorschläge einem Machbarkeitstest zu unterziehen. Man muss also keine Kompromisse eingehen und kann sich deshalb umso heftiger streiten - es geht ja um nichts!“
Zitat aus: Marionetten, Neo-Stalis und Monsterwellen, Marc DeSargeau, FAGULON-Verlag 2021
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