„Eine weitere - allerdings sehr kleine Gruppe - von Strippenziehern befindet sich auch unter den Parlamentariern. Es sind die Obermarionetten, die selbst an vielen Strippen hängen, von denen sie die meisten entweder nicht kennen oder verstehen. Der absurde Fraktionszwang und das Hinterzimmer-Gekungel zur Auswahl der Kandidaten für die aussichtsreichen Listenplätze bei der nächsten Wahl sind die entscheidenden Machtinstrumente der Obermarionetten. Es sind erstaunlich wenige Personen. Einige der Spitzen der Fraktionen und die Küchenkabinette bestimmter Minister beziehungsweise der Regierungschefin gehören dazu.
Jeder Parlamentarier, der - sollte er ausnahmsweise mal eine eigene Meinung und eine gewisse Kenntnis der Gesetzesmaterie erworben haben - sich eine abweichende Ansicht, ja selbst nur eine öffentliche Hinterfragung der "politisch korrekten" Sprachregelung erlaubt, wird nicht nur mithilfe des Fraktionszwanges bei fast allen Abstimmungen seines verfassungsrechtlich garantierten Rechtes beraubt, das darin besteht, nur seinem Gewissen verantwortlich zu sein. Allein dieser Verfassungsbruch ist ein Skandal. Als wäre dies jedoch noch nicht genug der demütigenden Gängelung, gibt es noch ein effektives Mittel gegen Unbotmäßigkeit: Der Aufmüpfige erfährt andeutungsweise hinter den Kulissen, dass es bei der nächsten Wahl wohl kaum zu einem aussichtsreichen Listenplatz reichen wird, wenn sich das Verhalten des werten Genossen oder Parteifreundes nicht ratzfatz ändert. Innerhalb von Sekunden macht sich nach einem solchen Gespräch das gepeinigte Gewissen davon und nimmt die kritische Meinung des betroffenen Parlamentariers gleich mit. Die Angst vor dem Verlust von Status und Salär eines Abgeordneten haben beide zum Schweigen gebracht. Nun flüchten sie schamvoll ins Nichts.
Das Methodenarsenal der Obermarionetten ist aber noch reichhaltiger: Man legt fest, wer im Plenum redet und sich so profilieren darf. Man bestimmt, wer wohin reisen kann, in welchen Ausschüssen der Abgeordnete sitzt und wie sein Büro und die Mitarbeiter beschaffen sind. All dies sind subtile, aber hocheffektive Methoden, mit denen man Parlamentarier zum abnickenden Stimmvieh unverstandener Gesetze degradiert. Das deutsche Parlament ist in weiten Teilen die Persiflage einer repräsentativen Demokratie.
Das ist alles nicht besonders schlimm, wenn die Dinge ihren geregelten Gang gehen, Wirtschaft und Finanzen halbwegs in Ordnung sind. Wenn allerdings das Schiff auf eine riesige Klippe zusteuert, dann werden sich diese Mechanismen als fatal erweisen. Man wird es erst bemerken, wenn es längst zu spät ist! Große, reich begrünte Bäume fallen plötzlich und unerwartet im Sturm, wenn sie innen hohl und morsch sind.“
Zitat aus: Marionetten, Neo-Stalis und Monsterwellen, Marc DeSargeau, FAGULON-Verlag 2021
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